Was ein Tanzkurs
in Jugendlichen auslösen kann

Immer wieder, wenn neue Kunden zu mir kommen, erzählen sie mir, dass sie schon vor Jahren als Schüler*in in der Tanzschule waren. Damals, für ein paar Kurse nach der Konfirmation. Ob das heute noch immer so ist? Sie hätten eine tolle Zeit gehabt, aber machen Jugendliche das heute überhaupt noch?

Die Antwort ist ja.

Für viele Jugendliche gehört der Tanzkurs auf dem Weg zum Erwachsenwerden nach wie vor dazu – und das aus sehr gutem Grund! Die offensichtlichen Gründe sind schnell abgehandelt.

Ein Tanzkurs gehört zum guten Ton und irgendwann steht der Schulabschluss an. Dort sollte man zumindest ein bisschen tanzen können. Davon abgesehen haben die Eltern es auch schon so gemacht. Der Tanzkurs ist eine tolle Möglichkeit, um neue Leute kennenzulernen – vielleicht auch deine neue/erste Freundin, deinen neuen/ersten Freund?

Alles das sind Dinge, die ich (meistens von Eltern) bei der Anmeldung höre oder aufschnappe, und sicherlich spielen sie in der Entscheidung auch eine Rolle.

Was sollten aber die wirklichen Gründe sein?

Ich persönlich habe meinen ersten Paarkurs sehr jung gemacht. Zu jung, denn ich war ungefähr 12 und damit mindestens zwei Jahre jünger als die nächstjüngeren. Aber meine großen Geschwister hatten gerade ihren ersten Kurs gemacht und ich wollte auch. Nachdem ich meiner Mutter also für sieben lange Wochen ein Ohr abgekaut hatte, durfte ich endlich auch in die Tanzschule. Der erste Schritt auf dem Weg zur Tanzlehrerin, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Was damals in meiner ersten Tanzstunde passiert ist, spielt sich bis heute in allen Tanzschulen ab – natürlich teilweise mit anderen Worten und definitiv mit neuer Musik.
Jugendliche aus unterschiedlichen Schulen und Klassen kommen zusammen. Der Tag war für sie entscheidend, die Uhrzeit passte. Im Idealfall sind ein paar Freunde dabei, vielleicht sogar die ganze Clique. Manche haben Freund oder Freundin dabei, manche haben sich im Voraus einen Tanzpartner oder eine Tanzpartnerin besorgt – bei meiner Schwester war das damals der Grund, warum mein Bruder mitgehen musste. Wer hätte gedacht, dass es ihm Spaß machen würde…?

Selbstverständlich soll es im Kurs um das Tanzen gehen. Dafür sind alle hier – naja, fast alle. Worum es aber eben auch geht, sind ganz banale Dinge, über die man gar nicht so viel nachdenkt.

Für die meisten Schüler ist der Tanzkurs ein erster wirklicher Kontakt mit dem anderen Geschlecht, der über das Sprechen hinausgeht. Tanzen ist keine Partnervermittlung und darauf soll es nicht hinauslaufen, aber: Beim Paartanz muss man sich anfassen. Und dafür gibt es sehr klar definierte Regeln und Grenzen. Ganz egal ob es Geschwister, Cousins und Cousinen, Freunde, Partner oder Fremde sind. Wer nur wegen des Anfassens kommt, der ist hier fehl am Platz.

Die Schüler lernen also, wie man sich gegenseitig zum Tanzen auffordert. Wie spreche ich mein Gegenüber an, warum sollte ich mich vorstellen, wie fasse ich eine*n Tanzpartner*in respektvoll an, ohne dabei meine Grenzen zu überschreiten und: Was mache ich verdammt noch mal die nächsten drei Minuten, während der Tanz läuft? Unterhalten muss man sich dann nämlich auch noch, wenn es nicht unangenehm werden soll. Wie verhalte ich mich, wenn der Tanz vorbei ist und wie gestalte ich vielleicht einen Partnerwechsel?

Dieser ganze Absatz lässt sich eigentlich mit einer kurzen Aussage zusammenfassen: Die Jugendlichen lernen bei uns nach wie vor Umgangsformen – auf eine Art und Weise, die alles andere als eingestaubt, sondern mit Spaß verbunden ist, ohne den Zeigefinger zu erheben und ohne es sie wirklich wissen zu lassen.

Viele andere Gründe für einen Tanzkurs bei Teenagern habe ich bereits in einem anderen Artikel genannt.

Tanzen ist und bleibt gesund. Es ist gut für die Körperhaltung, die Koordination und auch für die Psyche. Es baut das Selbstbewusstsein auf, ebenso wie das Selbstvertrauen, und sorgt häufig für eine bessere Toleranz und Akzeptanz untereinander. Je nachdem, was in der Tanzschule in den höheren Kursen und auch von den Unterrichtenden vorgelebt wird, macht das Tanzen auch offener: Ein Junge oder Mann, der tanzt, ist nicht direkt schwul. Im Gegenteil, Männer die tanzen können, sind häufig gleich um ein Vielfaches attraktiver. Vor allem, wenn sie dann auch noch geradeaus mit einer jungen Frau sprechen können, ohne schleimig oder wie ein riesiger Macho zu wirken. Gleichzeitig ist aber auch nichts dabei, wenn zwei Kumpels, die zufällig gerade beide männlich sind, miteinander tanzen, weil ihnen gerade danach ist. Schließlich ist es das Normalste auf der Welt, wenn zwei Mädchen oder Frauen miteinander tanzen. Die beiden Mädels könnten zwar auch queer sein, aber auch das macht keinen Unterschied. Es geht um die gemeinsame Bewegung zur Musik und vor allem um den Spaß.

Vielen jungen Erwachsenen merkt man es an, dass sie in der Tanzschule waren. Sie sind aufrechter und meist auf eine natürliche Art und Weise selbstsicher, was gerade bei Bewerbungsgesprächen oder in neuen Situationen Gold wert sein kann. Häufig können sie gesellschaftliche Situationen locker und gut manövrieren, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass sie bereits in einer solchen Situation gewesen sind. Der festliche Abschlussball gehört zum Beispiel nach wie vor zur „Tanzschullaufbahn“ dazu.

Und dann kommt zuletzt noch ein Punkt hinzu, der nicht zu unterschätzen ist:

Die sozialen Gefüge, die im normalen Umfeld der Schüler fest sind, werden in der Tanzschule, gerade in den ersten Kursen aufgebrochen. Schon alleine, weil Jugendliche aus unterschiedlichen Schulen in den gleichen Kurs kommen. Wer in der Schule vielleicht nicht den richtigen Anschluss gefunden hat, bekommt hier oft ganz andere Möglichkeiten, mehr oder minder einen Neubeginn. Beim Tanzen hilft es nicht immer, „cool“ zu sein. Denn wenn „Cool“ mir andauernd auf den Füßen steht, mich nie beim Tanzen anschaut, sich häufig vertut oder null Körperspannung hat, dann macht mir tanzen mit „Cool“ keinen Spaß. Und der „Außenseiter“ oder die „Außenseiterin“ hat vielleicht ein tolles Körpergefühl, harmoniert tänzerisch gut mit mir oder führt einfach „überraschenderweise“ interessante und gute Unterhaltungen. Dann ist ein*e „Außenseiter*in“ auf einmal beliebt und hat für sich einen Ort gefunden, an dem sie oder er dazu gehört, vielleicht sogar ein bisschen zu einem Vorbild wird, weil sie oder er gegebenenfalls häufiger aushilft, manchmal mit dem/der Tanzlehrer*in im Unterricht demonstrieren darf, oder sogar Teil des Tanzschul-Teams wird. Sollten Jugendliche also in die Tanzschule gehen und lohnt es sich, in der heutigen Zeit überhaupt noch einen Tanzkurs zu besuchen? Meine Antwort ist ja und wird es vermutlich auch mein Leben lang bleiben. Denn auch wenn man sich nicht für den Berufszweig Tanzlehrer*in entscheidet, so ist es fast immer eine Zeit im Leben eines Teenagers, auf die sie oder er gerne zurückblicken wird und die einem häufig sehr viel gebracht hat.

Bericht: Inga Wilking von der ADTV Tanzschule Tessmann