West Coast Swing – ein Tanz erobert die Welt…

(…und vom Wahnsinn, wozu man durchs Swing tanzen fähig wird)

West Coast Swing – der kalifornische Kulttanz: Swing tanzen ist eigentlich eine der ältesten modernen Paartanzformen des 20. Jahrhunderts. Schon in den späten 20er – Jahren fand Swing Einzug in die Tanzhäuser, Tanzpaläste und Tanzschulen der goldenen Jahre. Später als Lindy Hop bezeichnet, übersteht Swing eher als politisch-revolutionäre Randerscheinung die Jahrzehnte und wird auch heute noch zur Musik der 20er- oder 50er – Jahre getanzt. Gleichzeitig bot der Swing die Grundlage für eine ganze Reihe der Gesellschaftstänze. Jive im Lateinbereich, Quickstep und Slow Foxtrott im Standardbereich und natürlich Discofox. Aber Kultstatus – den gibt es erst seit ganz wenigen Jahren. Dafür aber weltweit!

Vor gut 10 Jahren hat ein schlaues (und vermutlich sehr geschäftstüchtiges) Tanzlehrerpaar unter der Sonne Kaliforniens den alten Tanz modern interpretiert und auf die aktuellen Radio – Charts gepackt. Populäre Figuren von anderen Tänzen wurden kopiert und platzsparendes Tanzen stand im Mittelpunkt. Und das schlug ein wie eine Bombe, flitze durch die USA, sprang über den Atlantik (und übrigens auch über den Pazifik) und landete dann 2016 auch bei uns in Kiel. West Coast Swing, kurz WCS, unterscheidet sich gravierend. Getanzt wird auf alles, was Spaß macht und gut im Ohr klingt. Gelernt wird im Eiltempo, denn eigentlich alle Choreografien oder Figuren sind einfach und immer darauf ausgelegt, dass schnellstmöglich größte Erfolge und Spaß erreicht werden. Und das wichtigste: Man kann allein kommen, den die Paare sind nicht festgelegt. Einer tanzt den „Leader“, ein anderer tanzt den „Follower“. Geschlecht spielt dabei nur eine unter geordnete Rolle. Alle paar Minuten schalt ein lautes „High Five“ durch den Saal und dann wird getauscht. Spätestens dann kann es sogar vorkommen, dass mal für zwei Minuten zwei Männer miteinander tanzen. Im Herbst 2016 kam West Coast Swing bei Tanzen in Kiel an und verbreitete sich rasant. Mit Corona kam ein Dämpfer, denn Partnertausch war natürlich völlig tabu. Inzwischen läuft das wieder und die Szene akzeptiert es nun auch, dass nicht jeder tauschen mag. Für kommerzielle Tanzschulen war WCS nichts, denn alles Wesentliche, um eine Nacht lang an einer WCS-Party teilnehmen zu können, vermitteln einem die Tanzlehrer(innen) gern mal in einem 60 Minuten – Workshop. Das ist dann natürlich nicht wirtschaftlich.

Inzwischen gibt es Wettbewerbe, die meist nachts stattfinden und bei den auch immer die Party im Mittelpunkt steht. Alter völlig egal und wer mit wem in der Nacht sich dem Wettbewerb stellt, ist zu Beginn des Abends auch meist nicht klar. Es ist eben nur Spaß! Social Dance ist das Stichwort, was auch gern die Salsa, Bachata und Tango Argentino – Leute für sich in Anspruch nehmen. Die kennen halt den West Coast Swing noch nicht und streiten lieber über Styles. Allerdings hat dieser Tanz dann doch ein seltsames und für den Anderstanzenden manchmal auch befremdendes Eigenleben entwickelt.

Social Media macht es möglich – alljährlich verbindet sich die Szene rund um den Globus, entwickelt zu einem Charthit eine kurze Choreografie, ruft dann zu weltweiten Flashmobs auf und tanzt den WCS zeitgleich an hunderten Orten auf allen Kontinenten mit anschließender Veröffentlichung bei YouTube. Interessant ist auch, dass sich die Community deutschlandweit ständig zu Parties einlädt, so dass man eigentlich jedes Wochenende irgendwo tanzen und feiern kann. Und das Ungewöhnliche: Die fahren tatsächlich los!

Entwickelt haben sich auch ein paar international anerkannte WCS-Profis, die es verstanden haben, das Ganze auch in Geld umzuwandeln. So kann man in Europa mindestens zwei Mal im Monat an einem Workshop-Wochenende, meist in einer schicken Metropole, teilnehmen, lernen und Party feiern. Auch in Kiel steht so ein Workshop im Oktober auf der Tagesordnung. Das kostet dann auch durchaus mal 100 Euro Eintritt + Reisekosten. Die Kieler freuen sich jetzt schon auf eine große skandinavische Community. Es ist für den Einzelnen dann auch nur noch ein kurzer Weg vom gelegentlichen Tanzen zu internationalen Kontakten und dem Wunsch, möglichst oft überall dabei zu sein. Exemplarisch steht für unseren Verein der Tänzer Florian Brüderle (42). Ursprünglich in den Gesellschaftstänzen beheimatet, lies er sich von Anfang an vom WCS begeistern und steht inzwischen dann auch europaweit auf dem Parkett. Um an den Reisekosten zu sparen kam Florian Brüderle im Sommer 2021 erstmals auf die Idee, das WCS – Event – Wochenende mit einem sportlichen Urlaub zu verbinden. Er kaufte sich eine Hängematte, schwang sich aufs Fahrrad und radelte mal kurzerhand von Kiel ins polnische Danzig. Eine wirklich stolze Leistung. Hotels braucht man dann ja auch nicht, denn irgendwo im Wald kann man, zwar mückengeplagt, aber dennoch gemütlich die Hängematte aufhängen und paar Stunden schlafen.

Diese stolze Leistung galt es Florian dann diesen Sommer noch zu überbieten. Nächstes Ziel eines Fahrrad – Tanz – Ausfluges: Zum Event „Westie on the Promenade“ in Cannes an der französischen Côte d’Azur. Der Unterschied zum Vorjahr: Statt knapp 800 km entlang der schönen und bekanntlicherweise flachen Ostseeküste, 1600 km mit der Schwierigkeit, dass zwischen unserem Norden und der Mittelmeerküste da so eine geografische Herausforderung namens „Alpen“ steht. Und bei genauerer Betrachtung endet der flache Norden für Radfahrer schon 100 km südlich von Hamburg im Weserbergland.

Bis zur Schweizer Grenze folgt dann ein Mittelgebirge nach dem anderen, zieht dann in das alpine Hochgebirge bevor kurz vor dem Ziel die Alpen quasi in das Mittelmeer hinab fallen. Kann man mal machen. Die meisten bevorzugen jedoch das Flugzeug. Florian Brüderle nahm für den Rückweg die Bahn und konnte auch berichten, dass die Kräfte für ein partyreiches WCS – Tanzwochenende nicht mehr vollständig vorhanden waren. Zudem mussten auf der 17tägigen Radtour allerlei Probleme bewältigt werden, wie heftige Gewitter, nächtliche Wildtierbesucher, Verlust der Bremsen und andere technische Defekte (in den Alpen besonders witzig!) und dann auch noch die Gesundheit und der eigentlich ständig unbequeme Fahrradsattel…

Florian Brüderle hat sich aber zweifelsohne Respekt verdient und den Titel „Kieler West Coast Swing – Tanzbotschafter“. Und wir alle lernen: Fängt man irgendwann mit dem Tanzen an, egal was, so weiß man nie, wohin einen das im Leben so führt. Den einen führt es vor den Altar, den andern eben auf Alpengipfel. Wieder andere werden Weltmeister oder folgen Herrn Llambi zu RTL und werden reich oder hegen am Ende eines tanzreichen Lebens den Wunsch, auch auf dem Parkett glücklich zu sterben. Und das, liebe Leser, ist sogar schon vorgekommen.

Bericht: Tanzen in Kiel e.V. | Fotos: Florian Brüderle