Warum Tanzen nichts anderes als eine gemeinsame Sprache ist
In meinem letzten Artikel hatte ich erwähnt, dass Tanzen lernen nichts anderes ist, als eine Sprache zu lernen. Der Bereich des Paartanzens ist hierbei natürlich um ein Vielfaches interessanter als der Solotanzbereich. Aber auch dort gibt es nicht umsonst den Begriff Ausdruckstanz. Der Tanz ist grundsätzlich eine Kunstform. Bühnen- und Showtanz wird dafür genutzt, um eine Geschichte zu erzählen oder zu unterstreichen.
Wechseln wir in den Freizeitbereich, dann nutzen wir auch dort im Normalfall unsere Bewegungen zur Musik, um uns selbst Ausdruck zu verleihen. Meistens geht es um Spaß und Freude, aber Tanz lässt sich auch ideal dafür nutzen, um andere Emotionen wie Ärger, Wut, Schmerz oder Sehnsucht auszudrücken und verarbeiten zu können. Während das zumeist in kleinen Gruppen oder alleine stattfindet und so die Interpretation auch immer im Auge des Betrachters liegt, findet das Thema Kommunikation im Paartanz, speziell im Gesellschaftstanz, eine andere Gewichtung:
Hier geht es nicht zwingend darum, dem Betrachter eine bestimmte Emotion oder Geschichte zu vermitteln, sondern es wollen sich zwei Menschen harmonisch miteinander zur Musik bewegen. Damit das gut funktioniert ist es unumgänglich, dass beide Partner die gleiche Sprache sprechen. Man stelle sich also vor, dass jeder Tanz eine eigene Sprache ist.
Manche sind enger miteinander verwandt, so wie zum Beispiel Cha Cha Cha und Rumba mit Spanisch und Italienisch zu vergleichen sind – sprich, wer die eine Sprache beherrscht, wird viele Parallelen mit der anderen finden und keine großen Schwierigkeiten haben, sie aufeinander zu übertragen. Andere Tänze sind wiederum ähnlich weit voneinander entfernt wie Deutsch und Finnisch.
Was macht also eine Tanzschule?
Natürlich vermittelt sie die einzelnen Schritte und Figuren in den verschiedenen Tänzen. Im besten Fall sorgt sie aber auch dafür, dass die beiden Partner lernen, miteinander die gleiche Sprache zu sprechen. Je mehr Vokabeln – sprich Schritte – sie lernen, desto besser werden sie miteinander kommunizieren können und desto umfangreicher wird ihre Unterhaltung, während die Musik läuft.
In der Lernphase wird es dabei auch immer wieder Missverständnisse geben. Das ist allerdings etwas absolut Normales. Auch hier ziehe ich wieder den Vergleich einer Sprache:
Zum Beispiel habe ich gerade meine ersten Worte Englisch gelernt und versuche mich in einer Konversation. Mein Partner spricht schon sehr viel länger und benutzt Worte, die ich noch nicht kenne. Manchmal habe ich Glück und kann sie mir erschließen oder verstehe den Kontext. Hin und wieder werde ich mein Gegenüber aber nicht verstehen. Das ist der Punkt beim Tanzen, an dem wir rauskommen. Im besten Fall versucht mein Gesprächspartner dann, mit leichteren Wörtern und Satzkonstruktionen mit mir zu sprechen, und wir kommen besser klar. Je mehr wir dann miteinander üben, desto besser wird unsere Kommunikation werden und desto flüssiger sind unsere Gespräche.
Selbstverständlich ist es beim Tanzen aber wie im wahren Leben auch: Es wird immer Menschen geben, mit denen man sich besser oder schlechter unterhalten kann. Und dann gibt es wieder Menschen, die in einem Gespräch nicht auf eine gemeinsame Ebene finden. Aber auch das ist in Ordnung. Solche Gespräche muss man nicht erzwingen, und mit diesen Partnern muss man auch nicht zwingend ein zweites Mal tanzen. Dafür gibt es auch immer die Menschen, mit denen man sich blind versteht und stundenlange Unterhaltungen führen kann. Mit diesen Menschen ist tanzen wie fliegen, und man möchte gar nicht mehr aufhören. Und ist das nicht ein Gefühl, das wir alle verdienen zu erfahren?
Bericht und Fotos: Inga Wilking