„Telefon für Dich“
Zack! Kaum ist das alte Jahr vorbei, hat das neue einen schon fest im Griff.
Pläne werden gemacht, Dinge erledigt, Termine stehen an. Wo bleibt eigentlich die Zeit der Muße? Die Zeit der Besinnung? Oder haben wir einfach nur immer viel zu viel tun, dass diese Momente keinen Raum haben? „Ich höre mich zu Freunden sagen, dass es gerade nicht passt. Dass ich leider keine Zeit habe“. Das schlechte Gewissen immer dabei, weil man sich phasenweise so selten meldet. „Ja….demnächst passt es bestimmt. Ich melde mich.“ Huuuiiii….
Kennen Sie das auch? Man hat immer sooo viel zu tun. Dinge zu erledigen, zu planen, zu schaffen, zu machen … immer (oder oft) unter Stress, immer ganz viel auf dem Zettel. Wenig Zeit, um sich Müßiggang zu erlauben. Wenn, dann ist sogar der gezielt geplant. Wellnesswochenende mit den besten Freundinnen zum entspannen. Nachdem man sich dieses Wochenende stressreich freigeschaufelt hat.
Müßiggang nach Terminkalender … sozusagen. Ist das nicht grotesk? Terminstress, um sich mit Freunden zu treffen?
Ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen, muss aber auch viel organisieren und schreiben und, und, und… und liebe diese kleinen Begebenheiten, die einem manchmal den Spiegel vorhalten. Manchmal einfach nur entzückend sind; manchmal aber auch zum Nachdenken anregen.
Kennen sie das auch? Gerade wenn man noch sooo viel zu erledigen hat, den Kopf voll hat … kommen die “lieben Kleinen” und wollen irgendwas, was gerade überhaupt nicht passt. Das gibt es sowohl zu Hause, als auch im Job.
Spielen, was zeigen, etwas gaaanz umständlich erklären … was ja grundsätzlich toll ist. Aber eben nicht, wenn man soviel zu tun hat. Aber wegschicken mag man sie auch nicht. Wir wollen dem Kinde ja zugewandt sein. Selbst wenn wir nur so tun.
Also nickt man dann einfach, sagt, „Ja, Schätzchen”, „hab ich gesehen”, „hast Du ganz toll gemacht” …, ohne wirklich dabei zu sein. In der Hoffnung, dass die Lütten das gar nicht merken. Klappt … manchmal, aber nicht immer. So ging es mir neulich: Ich hatte unglaublich viel Bürokram zu erledigen. Und Organisatorisches und … und … und … soooo viel zu tun!
Da steht plötzlich die kleine Lilly in meinem Büro, hält ein kleines, rotes Holztelefon hoch und sagt erwartungsvoll: „Telefon für Dich.” Und strahlt mich an.
Ich saß am Schreibtisch und hatte gefühlt ungefähr hundertundzwanzig Dinge gleichzeitig zu erledigen. Und gerade so gar keine Zeit. Vor allem nicht zum spielen. Aber ich habe ja ein Herz … UND ein Gewissen. (Und einen pädagogischen Auftrag *räusper*).
Also sagte ich, so nebenbei: „Wer ist denn dran?” und schrieb quasi weiter am PC.
Lilly, fötete erwartungsvoll: „Dein Frooojjjjjjnd”
Nun, dachte ich, das ist wichtig, da kann das Kind noch was lernen, beziehungstechnisch und zwischenmenschlich und so … ich spiel mal kurz mit.
Ich also das Telefon geschnappt (unter Lillys frohen Blicken) und einfach mal ins Leere telefoniert und mitgespielt. Ich: „Hallo Liebling. Schön, dass du anrufst. Ja. Ach…Das ist ja schön. Gute Nachrichten. Hm, hm… Danke … jaha … ich wünsche dir auch einen schönen Tag. Bis heute Abend Schatzi. Ich freu mich. Ja … Küss-chen … hab dich lieb. Tschüss! Tschühüss!”
Lilly strahlte mich an. Ich hab ihr das Telefon zurückgegeben und hatte ein gutes Gefühl. Schließlich habe ich mich gekümmert und bin auf das Kind eingegangen. OBWOHL ich grad gar keine Zeit hatte und dafür auch nicht der Kopf frei war. Nebenan waren schließlich auch noch meine Kollegen aus der Betreuung, zum Spiel bereit. ICH hatte Bürozeit. Ich habe mich auch sofort wieder meinen Aufgaben gewidmet. Lilly hat das gleiche Spiel kurz darauf mit einer Kollegin gespielt. Bei ihr war aber fiktiv „nur“ ein anderen Kollege am Apparat, der angeblich zu spät dran war. So fiel „das Gespräch“ am Holztelefon eher nüchtern und kurz aus. Für Lilly natürlich total langweilig.
DRIIIIIIING! DRIIIIIIIIIIIIIING!!!!
Lilly: „Stephie! Telefon für dich.“ Erwartungsvolles Lächeln.
Ich … (ein wenig genervt): „Lilly, ich kann grad nicht. Ich muss arbeiten und hab zu tun. Geh doch bitte zu den anderen Betreuern.”
Lilly: „A.B.E.R. T.E.L.E.F.O.N. F.Ü.R. D.I.C.H!“ Und hielt mir schon wieder das kleine, rote Holztelefon hin. Mit großen Augen.
Ich, leicht genervt: „Wer ist es denn dieses Mal?”
Lilly: „Dein Froooojjjjnd.” Dabei guckte sie mich erwartungsvoll an.
Ich: (weiter genervt , aber mit dem pädagogischen Gedanken, dass auch Kinder ja lernen müssen zu warten, wenn Erwachsene etwas zu tun haben): „Der war doch grad schon dran. Sag DU ihm mal, ich habe keine Zeit. Ich muss arbeiten. Ich melde mich heute Abend bei ihm.“
Erneut widmete ich mich meiner Schreibarbeit.
Nach einem kurzen und verdächtig stillen Moment, hörte ich im Hintergrund Lilly. „Ja … hat sie gesagt. Nein …! Ja …! Hmm …! Sie hat keine Zeit. Sie muss arbeiten. Okehee … sag ich ihr!”
Nanu….Da wurde ich doch neugierig.
„Und”, fragte ich,”was hat er gesagt?”
Sie guckte mich mit großen, treuen Augen an und sagte mit Mitleid in der Stimme: „Ich soll dir sagen er hat Schluss gemacht.“
—–Stille——
Ich: „WAAAAAAAS???“
Ich musste dann so lachen … über diese geistvolle und sehr deutliche Art und Weise, mir zu zeigen, was nämlich wichtig ist: Sich Zeit nehmen, Kinder ernst nehmen und sie nicht fadenscheinig abspeisen, auch wenn man im Stress ist, und es sich “nur” um ein vermeintlich unwichtiges Spiel handelt. Denn dann muss man eventuell mit solch unerwarteten Konsequenzen rechnen.
Ich bat Lilly unter gespielt entsetzten Blicken, bitte sofort noch mal meinen Freund zurückzurufen, und ihm zu sagen, dass das nicht ernst gemeint war, und das ich natürlich Zeit für ihn hätte.
Denn, was ist wichtiger und wertvoller, als sich umeinander zu kümmern und sich dessen zu besinnen? Auch oder beziehungsweise gerade dann, wenn man eigentlich mal wieder viel zu viel zu tun hat. Denn: Freundschaften pflegt man nicht nach Terminkalender 😉
In diesem Sinne:
Ein gesundes und gutes, neues Jahr, mit Zeit, Ruhe und Muße für die wirklich wichtigen Dinge im Leben…
„Driiiiiing“
Stephie Schön