Mein Coming-Out
Hallo meine Lieben,
heute wird das Thema etwas ernster. Ich werde Euch erzählen, wie mein coming-out war.
Ich bin Sascha Kugler, bin am 11.02.1980 in Hamburg geboren und war das zweite Kind meiner Eltern, welches das Licht der Welt erblickte. Keiner erahnte die Reise, die mir bevor stand. Von 4 Kindern bin ich der einzige Junge und meine Kindheit war leider nicht so schön. Ein Elternteil war leider nicht so wie man es einem Kind wünscht. Der Bezug zum männlichen Elternteil war nicht Vater und Sohn, sondern mehr: „Ok du bist da, aber eigentlich bist du mir egal“. Auch meine Großeltern von der Seite meines Vaters haben mich so behandelt.
Somit war die Bindung zu meiner Mutter umso enger. Sie war und ist für mich immer mein Anker. Als ich so ca. 8 Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal erfahren müssen, was es heißt sexuell missbraucht zu werden. Das hat zu einem Riss in meiner Seele geführt…und war erst der Anfang auf meiner Reise. Es sollte leider weiter gehen und somit wurde ich mit 13 Jahren noch mal sexuell missbraucht. Meine Hölle ging los.
Durch mein Tagebuch haben meine Eltern davon erfahren. Ich habe darin meine traumatische Erfahrung genau geschildert. Und nun ging die Hölle weiter. Mein Erzeuger hat den Peiniger zu uns nach Hause geholt, um ihn zu Rede zu stellen. Der hat aber alles abgestritten und es als kindliche Fantasie hingestellt. Ich wurde dazu geholt und musste Rede und Antwort stehen. Man muss dazu sagen, dass mein Erzeuger schwerster Alkoholiker war, was aber keine Entschuldigung sejn sollte. Ich habe mir Vorhaltungen anhören müssen, wie z. B.: „DU hast doch selbst Schuld“ oder auch „Du hast es doch provoziert!“ Da ist meine Welt in 1000 Stücke gebrochen, dass noch nicht mal mein eigener Erzeuger mir glaubt. Wer soll es dir dann glauben? Meine Mutter konnte nicht handeln, weil sie unter körperliche Gewalt meines Erzeugers gelitten hat*. Es ist erst dann zu einem Wendepunkt gekommen, als ich mich gegen meinen Erzeuger gestellt habe, um mich und meine Mam zu schützen. So haben wir dann den Weg raus aus der Hölle ergriffen und meine Mam hat sich scheiden lassen. Wir sind weg gezogen mit ihrem neuen Freund, aber auch das sollte sich später als sehr schwer raus stellen.
Für mich, da ich mitten in der Pubertät stand und er meinen Vaterersatz spielen wollte. Ich habe ihm immer das Gefühl gegeben, dass er nichts zu melden hat, da er nicht mein Vater ist. Das ging so lange, bis ich dann mit 17 Jahren ausgezogen bin. Ab sofort stand ich auf meinen eigenen Beinen. Mein Leben war immer sehr geprägt von Frauen. Ich war bei Ihnen schon immer sehr beliebt. Bei den Mädchen im Kindergarten und später in der Schule. Es waren auch immer Mädchen auf meinem Geburtstag. Immer war ich von Mädchen umgeben. Mit Jungs hatte ich nicht wirklich was am Hut, weil sie mich immer als Weichei und als Schwuchtel bezeichnet haben. Aber man kommt in der Jugend an einem Punkt, an dem man selbst an sich zweifelt und vieles hinterfragt. So war es bei mir, denn ich habe sowohl Jungs als auch Mädchen nachgeschaut. Und man fragt sich, ob es normal ist. Aber Frauen haben mich nie sexuell angezogen. Das erste Mal merkte ich, dass da was anders ist bei mir, als ich einen Mann beim Umziehen gesehen habe und mir ganz komisch im Bauch wurde. Die Gedanken und das Bild habe ich nicht aus meinem Kopf bekommen. Gedanken, wie anziehend ich einen Mann finde. Meine erste sexuelle Erfahrung wahr mit ca. Ende 16 Jahre. Es war eine sehr schöne Erfahrung für mich und ich hatte das erste Mal das Gefühl glücklich zu sein. Mir war damals auch klar, dass es nie nach außen getragen werden darf, weil das für mich die Hölle heißen würde. Hass und Gewalt bewogen mich es heimlich auszuleben.
Mit 18 habe ich mich das erste Mal meiner besten Freundin anvertraut und mit ihr ein sehr langes Gespräch geführt. Über das Thema Mann und Frau und Sexualität. Sie hatte sehr viel Mitgefühl für meine Gedanken, aber wiederrum hat sie mir auch die Augen geöffnet, was es heißt, als Homosexueller offen zu leben. Da die Gesellschaft bis heute noch lange nicht dafür bereit ist, dass es auch andere Lebensweisen gibt, die in ihren Augen nicht „NORMAL“ sind. Sie sagte nur noch zu mir: „Willst du leben? Dann stehe dazu und du wirst nie allein dastehen. Wir lieben dich so wie du bist, denn so bist du wundervoll“. Nun war es an der Zeit, auch mein weiteres Umfeld darüber aufzuklären. Ich wollte leben! Endlich das leben, was ich bin und will. Also stand ich mir nur noch selber im Weg und somit habe ich meine Familie darüber aufgeklärt, dass ich homosexuell bin.
Für meine Mum war es schon klar. Eine Mutter weiß, was mit ihrem Kind los ist. Sie hat sowas im Gefühl. Meine Schwestern haben es auch sehr locker aufgenommen. Aber so einfach sollte es dann doch nicht sein. Das Outing ist eine Sache, aber damit dann auch noch öffentlich zu leben eine ganz andere. Mir war schon klar, dass es nicht leicht wird.
Dass die Gesellschaft so was von abwertend sein kann, damit habe ich nicht wirklich gerechnet. Man wird auf offener Straße als Drecksschwuchtel bezeichnet oder hört andere Beleidigungen, die ich hier nicht Wiederholen möchte. Auch körperliche Gewalt und Anspucken ist für einen Teil der Gesellschaft ganz normal.
Es gab ein Wendepunkt in meinem Leben, als ein Freund mir sagte, dass er nicht weiß, was er machen soll: Seine Familie hat ein Problem damit, das er homosexuell ist und sie wollen ihn einweisen lassen, damit er wieder normal wird. Ich sprach mit seinen Eltern und fragte sie, was sie für Eltern sind, die nicht zu ihrem Kind stehen. Ein paar Monate später durften sie ihren Sohn zu Grabe tragen, weil er sich das Leben genommen hat – mit gebrochenen Herzen. Das hat mir noch mehr gezeigt, dass sich etwas ändern muss. Wie können Eltern ihr eigenes Kind nur so verstoßen! Ihr eigenes Fleisch und Blut! Als Eltern sollte man seine Kinder bedingungslos lieben! Egal was oder wie sie sind! Es sind Eure Kinder und sie werden es immer bleiben. An alle Eltern und Menschen: Vor was hab Ihr Angst? Vor Euch selbst oder Euren Nachbarn oder was andre denken könnten über Euch? Wir haben uns so ein Leben nicht ausgesucht, sondern es wurde uns gegeben.
Viele Menschen trauen sich bis heute nicht, ihr wahres Ich zu zeigen und sind mit einem gesellschaftlich „akzeptablen“ Partner zusammen.Sie sind verheiratet und haben Kinder und belügen sich und ihre Familie, weil es von ihnen verlangt wird. Wir haben nur ein Leben und das sollte man dann auch glücklich leben, denn jeder hat das Recht auf Liebe und Glück. Ich lebe meine Homosexualität offen aus, weil ich weiß, dass mein Umfeld wie Familie, Freunde und Kollegen zu mir stehen und mich auch bestärken. Familie, Freunde und besonders mein Ehemann sind ein wichtiger Anker, die jeder braucht im Leben. Ich kann nur jedem Elternteil raten: Seid einfach für Eure Kinder da. Und wenn sie auf Euch zu kommen und Euch sagen, dass sie anders sind als andere, habt ein offenes Ohr. Ihr wisst nie, was Ihr mit Eurem Verhalten verursachen könnt, denn man hat nur einmal dieses Kind und liebt es einfach so, wie es ist.
Denn auch wir sind ganz normal. Seit stolz auf Eure Kinder, die so ein Vertrauen in Euch stecken, um mit Euch da drüber zu reden. Sowas ist nicht selbstverständlich.
Love is Love und alles ist normal, ob man homosexuell, trans oder was auch immer ist – Mensch ist Mensch.
Noch ein Satz zum Schluss: Die Beziehung zu meinem Erzeuger war bis zu seinem Ableben sehr freundschaftlich. Wiederum hat der neue Freund (später der Ehemann) meiner Mam den Platz meines Daddy´s eingenommen. Er war für mich der Vater, den ich mir immer gewünscht habe.
Euer Sascha
*jeder Missbrauch wurde strafrechtlich verfolgt und wurden verurteilt.
Text und Fotos: Sascha Kugler